Melanie Abt and Dieter Schoene and Nicolai Szulmirski
Auszug aus dem Themendossier der Versicherungsforen Leipzig Nr. 3/2021
Persönliche Beratung ist durch nichts zu ersetzen. Diesem Credo folgen insbesondere (aber nicht ausschließlich) die traditionellen Versicherer. Das mag im Kern sogar richtig sein, lässt sich aber nur schwer skalieren. Um die geänderten Kundenanforderungen an ein zeitgemäßes Kundenerlebnis zu erfüllen und Kostensenkungen durch digitalisierte Ende-zu-Ende Prozesse zu realisieren, müssen die On- und Offline Kundeninteraktionen verschmelzen und nahtlos ineinander fließen.
User Experience fortsetzen
Kunden müssen dort abgeholt werden, wo sie sich gerade befinden und das ist, auch verstärkt durch die aktuelle Situation, immer häufiger online. Online heißt hier nicht die aktuellen Produktinformationsblätter zu digitalisieren und auf der eigenen Webpräsenz zur Verfügung zu stellen, sondern vielmehr das Nutzererlebnis (User Experience), welches Kunden aus ihrem Alltag als KonsumentInnen kennen, fortzusetzen.
Als registrierter Kunde kann ich auf Amazon mit einem Klick und einem Swipe Produkte bestellen, welche am nächsten Tag an meiner Türe sind, bei FreeNow kann ich mir mit einem Klick ein Taxi rufen, kann live verfolgen wo sich mein Fahrer gerade befindet und nach Ankunft am Ziel, mit einem Swipe die Zahlung abschließen.
Die User Experience im Kontakt mit Versicherungen unterscheidet sich hiervon, in der Mehrheit der Fälle, deutlich. Allerdings ist es mit dem Klick oder dem Swipen am Kunden-Frontend allein selten getan: Die meisten Produkte und Services, die Versicherer anbieten, ziehen komplexe und wissensintensive Prozessketten nach sich, die in der Regel zahlreiche Akteure involvieren. Von der Schadensbearbeitung, die eine Vielzahl von Subprozessen auslöst, die intelligent ineinander verzahnt werden wollen, bis hin zur Industrieversicherung, die kontinuierlich Daten aus der Produktion auswertet, um eine risikogerechte Tarifierung der Police zu ermöglichen: Nur dort, wo ein Versicherer eine durchgängig digitalisierte Prozesslösung gefunden hat, kann das digitale Frontend das halten, was es den KundInnen verspricht.
Nehmen wir den Fall eines Ihrer Versicherungsmakler, der sich an Ihre Zentrale wendet, um seinem Kunden eine Police anzubieten, die vom Standardprodukt abweicht. Die Bearbeitungszeit und eine kompetente Beratung werden darüber entscheiden, ob Kunde – und Makler – Ihr Produkt oder dasjenige eines Konkurrenten wählen. Sie werden dann am erfolgreichsten sein, wenn Sie die Endkunden, Ihre Makler, Ihr Middle-Office und nicht zuletzt das Underwriting in einen durchgängigen, digitalen Workflow einbinden und diesen als komplette Customer Journey konzipieren.
Workflow: durchgängig und digital
Schauen wir uns einige der Anforderungen an diesen Workflow im Detail an: Er muss erstens dem Underwriting die nötige Flexibilität bei der Anpassung des Versicherungsproduktes bieten, zweitens den Makler mit allen relevanten Informationen versorgen um individuell auf die einzelne Kunden eingehen zu können und ihm drittens das aufwändige Handling der verschiedenen Kommunikationskanäle abnehmen. Viertens muss gewährleistet sein, dass die Entscheide eines Zeichners für alle anderen Kollegen im Underwriting transparent einsehbar sind. Präzedenzfälle müssen systematisch erkannt und in Echtzeit abrufbar sein. Nur eine digitale Plattform, die all diese Anforderungen erfüllt, kann hier das gewünschte Kundenerlebnis schaffen. Sie verspricht dem Versicherer zudem Effizienzgewinne, anhand derer das angebotene Produkt letztlich günstiger und damit attraktiver wird.
Das Beispiel verdeutlicht auch, dass die Erhöhung der Verkaufsabschlüsse das radikale Umsetzen einer voll integrierten Omnichannel-Strategie erfordert, die die Kunden in den Mittelpunkt stellt, Brüche zwischen der Online- und Offline-Interaktion aufhebt, vorhandene Daten effizient nutzt und allen Beteiligten Echtzeiteinblick in den Prozessstatus ermöglicht.
Wie kann eine zeitgemäße Nutzererfahrung aussehen?
Potenzielle Neu-Kunden erwarten sich außerdem personalisierte Simplizität. Konkret bedeutet das, dass ich mit möglichst wenig Eingaben möglichst schnell konkrete Angebote bekomme. So kann beispielsweise die Eingabe meines Alters zum einen meine Involviertheit erhöhen und zum anderen dazu dienen, den Kunden sehr schnell eine erste Preisindikation zu geben. Wenn ich bereits Kunde bin, ist die berechtigte Erwartung, dass ich meine Daten nicht händisch eintragen muss, sondern, dass nach einem Login sämtliche dem Versicherungsträger bekannten Daten zur Kalkulation meines Angebotes genutzt werden. Im Idealfall kann ich die sogar direkt in der App meines Versicherers erledigen.
Sollte ich Fragen haben, brauche ich die Möglichkeit schnell und unkompliziert Hilfe bzw. Beratung zu erhalten, um danach meinen Kauf online weiterzuführen. Dies kann über Chatbots mit maßgeschneiderten Kundenkonversationen oder durch persönliche Beratung via (Video-)Chat, Callcenter-Agents oder (falls vorhanden) direkt mit meinem zuständigen Agenten erfolgen. Bei letzterem verspielen besonders die traditionellen Versicherer ihren Wettbewerbsvorteil der persönlichen Beratung durch ihre hoch geschulten Agenten. Diese kann entweder durch schnellstmöglichen Rückruf oder durch die Möglichkeit direkt einen (Online-)Beratungstermin im Kalender der Agenten auszuwählen erfolgen. Entscheidend ist in jedem Falle, dass bei einer persönlichen Beratung meine Daten und mein Prozessfortschritt für die Berater sofort ersichtlich sind und die Beratung direkt dort ansetzt wo meine Frage entstanden ist und ich meinen Kauf fortsetzen kann; entweder gemeinsam mit meinem Agenten oder selbständig.
Systeme, Prozesse und Incentivierung sind die Stellgrößen
Auch wenn es sich bei dieser Customer Journey um eine simplifizierte Skizze handelt, zeigt diese bereits, dass eine gute Nutzererfahrung kein Selbstzweck sein kann.
Nur wenn:
kann ich den Versicherungsnehmern ein zeitgemäße und zukunftsorientierte Nutzererfahrung bieten, die auch darüber hinaus skalierbar ist.